Die Story

Tagebucheintrag vom 28.September 2025

Sonntagsbraten im Bräurosl

Mittlerweile ist es über 8 Jahre her, dass ich das letzte mal auf der Wiesn war. Es war wohl 2017 kurz vor meinem Wegzug nach Panama. Seitdem hatte es sich auch während meiner Heimaturlaube einfach nicht ergeben mal wieder richtige Volksfeststimmung aufzusaugen. 2020 hatte es eine Überschneidung gegeben, zumindest zeitlich – in den Geschichtsbüchern steht warum es in dem Jahr zu keinem Volksfest kam. Reden wir nicht mehr darüber. Aber eigentlich hatte es mir auch gar nicht so richtig gefehlt – irgendwie. Aber diesen Sonntag hat es sich doch mal wieder ergeben. Ich sollte unbedingt mit ins Bräurosl, denn meine Großmutter hatte zum Sonntagsbraten auf der Wiesn geladen. “Genau so, wie es früher einmal bei meiner Oma war, als ich selbst noch klein war”, hatte sie völlig euphorisch getönt. In den letzten Jahren war es eins ihrer persönlichen Wiesn-Highlights. Also dann: Wenn Omi einlädt, sagt man nicht nein.

Schon auf dem Weg zum Tisch spürte ich, dass eine besondere Stimmung in der Luft lag. Das Bier floss augenscheinlich in Strömen und die latente Fahne des jungen Mannes, der mir beim Aufstehen vom Tisch entgegen flog, zeigte, dass sich zumindest am Bierkonsumverhalten wenig geändert hat. Es war 12:30 Uhr. Aber es lag etwas anderes in der Luft als ich es von früheren Wiesnbesuchen in Erinnerung hatte – freilich war die Stimmung ausgelassen, aber die Themen und Diskurse, deren Wortfetzen ich hier und da vernahm, waren von eher gesellschaftskritischer Natur. Von der Art, wie sie selbst Ludovico Settembrini an der Seite Hans Castorps in Thomas Mann´s Zauberberg gelebt und geliebt hätte. Dabei war gar nichts so viel anders in diesem Zelt – Bayrische Tradition stand ganz offenkundig wie eh und je im Vordergrund, und doch schien sie sich hier weiterentwickelt zu haben. Tradition ist halt nicht nur etwas, an dem man festhalten muss, sondern auch etwas, das Potenzial hat sich weiterzuentwickeln, wenn man ihr etwas Freiraum gewährt.

Kaum saßen wir am Tisch kam auch schon die Bedienung, um unsere Getränkewünsche zu notieren. Und kaum waren diese da, flogen förmlich schon die vorbestellten Speisen auf den weißgedeckten Tisch. Geschmorter Kohlrabi, Perlemmer-Risotto nebst Babaganoush von der Karotte und hier und da auch ein wenig Fleisch, damit die Carnivoren nicht ganz so verdrossen drein schauen. Wobei auch deren Gabeln sich gerade eher zu den gebackenen Schwammerln, den gratinierten Spinatknödeln mit Allgäuer Bergkäs und der herzhaften Bavaria-Bowl hin bewegten, anstatt zum rosa gebraten Onglet, Nierchen in Honig-Senf-Sauce, gebackenem Knochenmark oder dem Münchner Krustenwammerl und den Chicken-Wings mit Süßer-Senf-Miso-Mayo zu greifen. Gerade die Vielfalt an vegetarischen Speisen, die ihren fleischigen Gegenstücken in nichts nach standen, war ein Fest für alle Sinne… Und dann auch ncoh alles Bio und aus der Region – ich war begeistert. Auch hatten banale Fleischklassiker wie Roastbeef, Hähnchenbrust oder Schweinefilet, den Weg auf die Kart nicht geschafft – stattdessen überzeugte eine kreative Pflanzenbasierte Küche mit Fleisch lediglich getoppt oder gewürzt!

Man hat sich auf alte Werte und Traditionen berufen, las ich auf meinem Smartphone, als ich dem kleinen QR-Code auf der Speisekarte folgte, um der ganzen Welt nicht nur ein Vorbild dafür zu sein, die meisten Maßen auszuschenken und die meisten Menschen auf ein Volksfest zu ziehen, sondern auch zu zeigen: Wandel funktioniert auch ohne merklichen Bruch, Wandel kann Spaß machen und zudem noch einen immensen positiven Impact haben auf Land und Leute – und ging es nicht schon immer darum auf der Wiesn Bayern und die Landeshauptstadt München zu repräsentieren und die Lebenslust zu feiern? Genau das gab den Anreiz dazu nicht nur Bayrisch mit Spinat und Karotten aus China zu kochen, sondern eher heimische Saisonale Zutaten zu nutzen und mit bayrischen Karotten der Welt zeigen wie wir Tel aviv interpretieren.

Dunkel kann man sich noch an Aussagen wie: “Nachhaltigkeit ist immer auch Verzicht”, erinnern. Oder: “Kann gesund auch lecker sein?” Der heutige Sonntag Nachmittag, den wir mit der ganzen Familie mit einem Gang über die Festwiese und ein paar Fahrgeschäften, wie dem Riesenrad, ausklingen ließen, hat gezeigt, dass schon langsam in Vergessenheit geratene, skeptische Stimmen spätestens im Bräusrosl sich bei Speis und Trank selbst überzeugen können, dass Genuss ohne Reue auch fair und nachhaltig möglich ist.

Auszug aus der Speisekarte

PerlEmmer-Risotto / Geschmorte Karotte / Bergkäs

Steinpilzessenz / Rote Beete Ravioli 

frittierte Gerstengraupen-Bällchen / gefüllt mit krummem Gemüse / Süßer-Senf-Miso

“Bräurosl-Bowl” – Bio-Leberkäs / Bio-Perlemmer / Gurke / Brezn-Croûtons / Weißkraut / Radieserl / halbes Ei / saure Gurke / Röstzwiebeln / Süßes-Senf-Apfel-Dressing 

rosa gebratenes Onglet / Kohlrabi “root to leaf”

Bayrisches Wildragout / Brombeeren / Spätzle

“Möhr”-Dog – geschmorte Karotte / Laugenstange / Weißkraut / herzhaftes Hirse-Granola / Radieserl

gebackenes Knochenmark / Schmelzzwiebeln / Thymian / geröstetes Sauerteigbrot

Münchner Krustenwammerl / Semmelknödel / Kümmeljus

An jedem Wiesn-Sonntag: Großmutters Sonntagsbraten

Ois Bio – Ois Bayrisch – Ois Guad!

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